Erster Ritt auf dem Drahtesel

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Fahrradkurs für Frauen: Das Integrationsprojekt stößt nach wie vor auf eine gute Resonanz. Foto: Thomas Neu

Fahrradfahren genießt in anderen Kulturkreisen oft wenig bis keine Aufmerksamkeit. In Kooperation haben das städtische Frauenbüro, die SSG Bensheim und die Drahteselklinik – angesiedelt bei der Wohnungslosenhilfe der Diakonie am Weidenring – die Initiative ergriffen und bieten Kurse für Mädchen und Frauen an, die sich das Radfahren im (fast) erwachsenen Alter noch aneignen wollten.

BENSHEIM.
Derzeit übt täglich auf dem Gelände der Geschwister-Scholl-Schule (GSS) wieder eine Gruppe von acht Frauen aus den verschiedensten Ländern Fahrradfahren. Nicht nur wegen der schwülen Witterung standen der Übungsleiterin Dorothee Sachinian die Schweißtropfen auf der Stirn. Spätestens als die Teilnehmerinnen das Gefährt in Augenschein genommen hatten und nun zum ersten Mal in die Pedalen traten, blieb eine gewisse Nervosität nicht aus. Würden sie den ersten Test ohne Blessuren überstehen? Sie schafften es. Nach einem zweistündigen Training fuhren sie noch unsicher und zaghaft die Runden und tasteten sich vorsichtig an das Absteigen heran. Eine große Auswahl an Rädern parkte auf dem Schulhof, die die Drahteselklinik für den Übungszweck zur Verfügung gestellt hatte.

Eden und Geli sind erst vor neun Monaten aus Äthiopien geflohen. Die beiden Jugendlichen, 16 und 17 Jahre alt, wagten sich nun an eine neue Herausforderung in dem ihnen noch fremden Land heran. Die beiden taten sich noch schwer, das Gleichgewicht auf zwei Rädern zu halten. In ihrem Herkunftsland gehören Radfahrer nicht zum üblichen Bild im Stadtverkehr. Und schon gar nicht Frauen, die sich als Pedalritterinnen fortbewegten. Ganz andere Lebenszusammenhänge führen Narendra nach Deutschland und an die Bergstraße. Sie ist Studentin im Fach „International Business“ in Madagaskar und macht ein Jahr Bildungspause, um eine andere Kultur kennenzulernen. Sie ist in Bensheim als Au-pair-Mädchen tätig. Der Kurs stellt für sie eine gute Gelegenheit dar, das nachzuholen, was ihr in frühen Kindheitsjahren entgangen ist. Sie ist in der Hauptstadt des Inselstaates, in Antananarivo, aufgewachsen. Im dichten Verkehr vor ihrer Haustür blieb ihr als Kind kein Raum, um zu radeln. Sie bringt gute sportliche Voraussetzungen ein, und konnte schon nach wenigen Versuchen das Gleichgewicht einwandfrei halten. Zukünftig soll für sie das Rad nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern Trainingsgerät für sportliche Fitness werden.

Doch längst nicht immer trifft Dorothee Sachinian auf willensstarke Frauen, die mit einem gesunden Körperbewusstsein ausgestattet sind. Sie erlebt Mädchen und Frauen, die in ihrem Herkunftsland nie mit Sport im Schulunterricht oder in der Freizeit in Berührung gekommen sind. Damit mangele es ihnen vor allem an einem reflexartigen Automatismus, sich beim Fallen sicher abzufangen.

Die Verschnaufpausen im Training nutzte Dorothee Sachinian zu einem Abstecher in die Verkehrsregeln. Wenn am heutigen Freitag der Kurs beendet wird, wird sie die Teilnehmer vor allem mit guten Ratschlägen zum umsichtigen Fahren und mit einem von der Jugendpolizeischule konzipierten Heft für Fahranfänger entlassen.

Quelle: http://www.echo-online.de/region/bergstrasse/bensheim/Erster-Ritt-auf-dem-Drahtesel;art1233,5284337